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BVerwG v. 13.04.1995 – 4 B 70/95
Baukunst und Verunstaltungsgebot – verfassungsimmanente Schranken als Allheilmittel?

Das Bundesverwaltungsgericht hatte sich mit dem Spannungsverhältnis der Kunstfreiheit in Form von Baukunst im Außenbereich mit dem baurechtlichen Verunstaltungsgebot gemäß
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Über Gebühr nimmt das BVerwG die verfassungsimmanenten Schranken in Anspruch und überspannt deren Anwendungsbereich. Nach hier vertretener Ansicht kommt es auf die schwerpunktmäßige Betrachtung an.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte sich mit dem Spannungsverhältnis der Kunstfreiheit in Form von Baukunst im Außenbereich mit dem baurechtlichen Verunstaltungsgebot gemäß den §§ 35 Abs. 2, 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB zu beschäftigen. Dabei verkennt das Bundesverwaltungsgericht den Rechtfertigungsbedarf für einen Eingriff in die Kunstfreiheit und zieht fernliegende Argumente aus Art. 20a GG ins Feld.

1. Rahmeninformationen

§ 35 Abs. 2, 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB lautet:

“(2) Sonstige Vorhaben können im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung (…) öffentliche Belange nicht beeinträchtigt (…)“

(3) Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt insbesondere vor wenn das Vorhaben

Nr. 5: Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege (..) und die natürliche Eigenart der Landschaft (…) oder das Orts- oder Landschaftsbild verunstaltet.

Der Kläger hat im Außenbereich auf seinem Hanggrundstück Bauantrag gestellt, um auf seinem Grundstück zwei 6m und 7m hohe Monumentalfiguren aus der Zeit des Nationalsozialismus aufstellen zu können. Diesem Antrag wurde nicht stattgegeben. Dagegen erhob der Kläger weitere Rechtsmittel.

2. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes

Das Gericht stellt zunächst fest, dass die Kunstfreiheit auch neben dem schaffenden Werk- auch den Wirkbereich, d.i. das zur Schaustellen, vertreiben usw., gem. Art. 5 Abs. 3 GG grundsätzlich vorbehaltlos gewährleistet wird. Die Kunstfreiheit könne jedoch insbesondere durch verfassungsimmanente Schranken eingeschränkt werden Das Bundesverwaltungsgericht erblickt insbesondere eine verfassungsimmanente Schranke in der Rechtsprechung desselben Senats zu Art. 2 Abs. 2 GG.

Der Senat hat im Beschluß vom 27. Juni 1991 – BVerwG 4 B 138.90 – (Buchholz 406.41 Baugestaltungsrecht Nr. 4) unter Hinweis darauf, daß es ausweislich des Art. 2 Abs. 2 GG zu den staatlichen Aufgaben gehört, einen Beitrag zum allseitigen psychischen Wohlbefinden der Bürger sowie zum sozialen Frieden in der Gemeinschaft zu leisten, dargelegt, daß der Staat es sich von Verfassungs wegen angelegen sein lassen darf, den Wirkbereich vorhandener baulicher Anlagen mit besonders erhaltenswerter äußerer Gestalt vor störenden Einwirkungen hinzutretender baulicher Anlagen zu schützen und Unlustgefühle hervorrufende krasse Gegensätzlichkeiten und Widersprüche im Erscheinungsbild bebauter Gebiete abzuwehren. Er hat zum Ausdruck gebracht, daß er in den Regelungen des Bauordnungsrechts, die darauf abzielen, Verunstaltungen der Umgebung durch bauliche Anlagen zu verhindern, ein zur Erreichung dieses Schutzzwecks zulässiges Mittel sieht.

Zusätzlich stützt sich das Bundesverwaltungsgericht auf Art. 20a GG, der so genannten Umweltklausel des Grundgesetzes.

die Verpflichtung, auf die Erhaltung der natürlichen Umwelt hinzuwirken. Zur Erreichung des Ziels der Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen gibt er dem Gesetzgeber mit Rücksicht auf die Begrenztheit der Ressourcen Natur und Boden das Mittel an die Hand, Maßnahmen zum Schutz von Natur und Landschaft zu ergreifen und substantiellen Einbußen in diesem Bereich vorzubeugen sowie eine menschenwürdige Umwelt zu sichern und die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln. Auch außerhalb der Bauleitplanung schafft der Gesetzgeber die Voraussetzungen dafür, daß das in § 1 Abs. 5 Satz 1 BauGB postulierte Ziel, die Umwelt zu schützen, zur Geltung kommt. Beleg hierfür ist § 35 BauGB, der – auch – im Interesse der Erhaltung von Natur und Landschaft Vorsorge dafür trifft, daß der Außenbereich über die Abwehr von Verunstaltungen durch Bauwerke hinaus vor einem Eindringen ihm wesensfremder Bebauung bewahrt bleibt.

3. Stellungnahme

Diesen Ausführungen ist kritisch zu begegnen. Die Kunstfreiheit musste hier nicht durch verfassungsimmanente Schranken eingeschränkt werden. Vielmehr ist im vorliegenden Falle originäres Baurecht anwendbar. Es ist vielmehr eine Frage der schwerpunktmäßigen Ausübung des Grundrechtes. Bei einer 7 Meter großen Statue überwiegt eindeutig der bauliche Teil; die künstlerische Verwirklichung im Wirkbereich ist Nebensache (So auch zum anachronistischen Zug auch Ipsen, Staatsrecht  II, 2006 Neuwied, 9. Auflage, Rz. 494). Auch der Rückgriff auf das Staatsziel des Umweltschutzes liegt nach hier vertretener Ansicht nach fern. Ziel des Umweltschutzes kann nicht sein, den Bürger vor verunstaltender Baukunst zu schützen, sondern die nachhaltige Beachtung der natürlichen Resourcen im Sinne eines generationsübergreifenden Überlebens.

Nach hier vertretener Ansicht, ist der Eingriff in den weiten Schutzbereich der Kunstfreiheit jedoch mangels künstlerischem Schwerpunkt keiner verfassungsimmanenten Rechtfertigung bedürftig. Die Kunstfreiheit tritt wegen der schwerpunktmäßigen Qualifikation  der Statuen als potentiell bodenrechtliche Spannungen auslösende Bauwerke zurück. Erst dann, wenn keine bodenrechtlichen Spannungen wegen Größe oder Ausmaß durch Baukunst zu erwarten sind, entfaltet sich die vorbehaltlos gewährleistete Kunstfreiheit. Erst dann käme es überhaupt auf die der Verfassung immanenten Schranken an. Dies beachtet auch die Forderung, verfassungsimmanente Schranken als Ausnahme einzusetzten (Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Grundrechte). Dabei kann offen bleiben, ob dann wiederum nicht die Meinungsäußerung durch zur Schau stellen von NS-Kunst im Vordergrund stünde.

a) Parallelbeispiel: Der Künstler auf der Straßenkreuzung

Als Parallelbeispiel soll zur Verdeutlichung der allseits beliebte Künstler auf der Straßenkreuzung ohne straßenrechtliche Sondernutzungsgenehmigung sein (So wie hier: Friedrich Müller, Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik, Berlin 1969): Die Kunstfreiheit ist nicht unverhältnismäßig verletzt (F. Müller dagegen: Schutzbereich erst garnicht tangiert, ähnlich Hess, Grundzüge des Verfassungsrechts), wenn ein Straßenkünstler von einer Kreuzung verwiesen wird (solange er nicht wegen des Bildes oder des Malens selbst verwiesen wird), schlicht aus dem Grund, weil er primär und also schwerpunktmäßig gegen Straßenverkehrsrecht verstößt. Der Verstoß gegen straßenverkehrsrechtliche Bestimmungen als Ausfluß der allgemeinen Handlungsfreiheit  überwiegt in diesem Falle die Kunstfreiheit. Der Aufenthalt auf einer Straßenkreuzung im fließenden Verkehr gehört nicht zum originären Schutzbereich der durch die Grundrechtsnorm definierten Aktions-, Organisations-, und Sachkomplexe (Vgl. Friedrich Müller, aaO). Aufgrund des weiten Schutzbereiches der Kunstfreiheit, ist dieser freilich dennoch eröffnet. Dennoch kommt es dogmatisch darauf an, welche Tätigkeit im Vordergrund steht, wo ihr Schwerpunkt liegt. Ohne Zweifel kann man in der konkreten Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne sagen: Der Aufenthalt auf der Straßenkreuzung ist schwerpunktmäßig straßenverkehrsrechtlich zu qualifizieren. Die Kunstfreiheit erscheint lediglich als ein unnebensächliches Beiwerk. Denn würde der Straßenkünstler kein Straßenkünstler, sondern ein Landstreicher sein, wäre gemäß der Normalfallmethode das „Herausnehmen“ des Landstreichers nichts Ungewöhnliches. Was straßenverkehrsrechtlich für den Landstreicher gilt, muss auch für den Künstler gelten. Dies gebietet der Gleichheitssatz. Denn als Verkehrsteilnehmer, und solche werden alle Menschen, egal ob Künstler oder Landstreicher, sobald sie die für den öffentlichen Verkehr gewidmeten Straßen und Wege betreten.  Diese Tätigkeit muss sich lediglich an Artikel 2 Abs.1 GG messen lassen.

Exkurs: Etwas anderes gilt freilich auf einem Gehweg, auf dem ein Künstler Straßenkunst ausüben möchte. Hier gilt die Besonderheit, dass der Gehweg nicht nur der Fortbewegung dient, sondern auch kommunikative Elemente in sich trägt. Hier hat  der Straßenkünstler  aufgrund seiner Kunstfreiheit in der Regel einen Anspruch auf eine straßenrechtliche Sondergenehmigung. Dabei ist das Ermessen der Behörde in der Regel auf Null reduziert (BVerwGE 84, 72 ff.)

b) Schlussfolgerungen für den vorliegenden Fall

Die eben gefundenen Ergebnisse, d.i. die schwerpunktmäßige Betrachtung der Handlung, lassen sich auch auf den vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall übertragen: Es kann Nichts anderes in der Frage der Zulässigkeit von Baukunst im Außenbereich gelten, wenn aufgrund der schwerpunktmäßigen Betrachtung das baurechtliche Element das künstlerische überwiegt. Folglich kann für die Beurteilung des Zulässigen nur das Bauordnungsrecht zulässig sein. Eine Grundrechtskollision mit der Kunstfreiheit findet gar nicht statt.  Die Frage ob ein Mitglied der sog. „nachbarlichen Schicksalsgemeinschaft“, eine 7 Meter große Monumentalstatue aus der NS-Zeit auf seinem Grundstück aufstellen darf, ist keine schwerpunktmäßige Frage der Kunstfreiheit, sondern aufgrund von Größe und Ausmaß der Statuen eine originäre Frage des Bauordnungsrechts. Dogmatisch findet diese Lösung ihren prüfungsmäßigen Platz in der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Abstrakt überwiegt freilich die Kunstfreiheit. Konkret muss es jedoch einschränkenderweise auf die konkrete schwerpunktmäßige Qualifikation ankommen, um das Element der verfassungsimmanenten Schranken nicht über Gebühr und an den Haaren herbeigezogen zu überbeanspruchen.

c) Schlussfolgerungen insgesamt

Insgesamt bleibt also festzuhalten, dass die Kunstfreiheit trotz ihrer vorbehaltlosen Garantie durch das Grundgesetz nicht nur durch verfassungsimmanente Schranken eingeschränkt werden muss, wenn sie bei schwerpunktmäßiger Betrachtung des Gesamtgeschehens, soweit sie mehr als Beiwerk erscheint, zurücktritt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ihre Ausübung in der konkreten Betrachtung schwerpunktmäßig in einem Handlungsraum stattfindet, der generell nicht in ihrem Kernbestand  anzusiedeln ist.

 

Bildquelle: WikiArt