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Muss Kunst international sein?
Interview: Miriam Smidt über Kritik, Feedback und englische Titel

Interview: Miriam Smidt über Kritik, Feedback und englische Titel Das letzte Interview führten wir mit dem Künstler Michael Friese, dieser
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Interview: Miriam Smidt über Kritik, Feedback und englische Titel

Das letzte Interview führten wir mit dem Künstler Michael Friese, dieser wiederum folgt auf Instagram der Künstlerin Miriam Smidt.  Dadurch wurde uns ihr Profil vorgeschlagen,  Zufall aber ein guter Grund, um bei der Malerin und  ihren farbenfrohen und lebhaften Kunstwerken etwas genauer hinzuschauen. Als deutsche Künstlerin eine englische Profilbeschreibung, nicht untypisch, aber auch die Kunstwerke selbst tragen englische Titel, muss man etwa englisch sprechen, um auf dem Kunstmarkt erfolgreich zu sein? Wir haben bei Miriam Smidt nachgefragt.

Miriam Smidt im Kurzinterview

Deine Kunstwerke bekommen englische Namen und Beschreibungen, erreichst du damit mehr Leute?

Ja ich denke schon. Dennoch war das aber nicht die Motivation dafür. Bzw. war es gar keine bewusste Entscheidung, die ein Motiv nötig gehabt hätte. In meinem Kopf spielt quasi nonstop Musik (ist das bei anderen eigentlich auch so?) Alles was so zwischen den 80ern und 2000 im Radio lief plus alles an Rock und Blues, was davor produziert wurde – und natürlich die Auswahl meiner eigenen favorisierten Musik – läuft so ziemlich in Dauerschleife alle wachen Stunden des Tages bei mir im Kopf ab. Viele meiner Werktitel sind – neben Versatzstücken aus Literatur, Filmen, Serien und tagespolitischen Nachrichten – Versatzstücke aus englischsprachigen Musikalben wie z.B. „Bird Song“ von Florence and the Machine … Das ist also der Startpunkt für meine Werktitel und Bildunterschriften. Und wir wissen alle, wie hölzern das klingt, sie ins Deutsche zu übersetzen. Auch spreche ich natürlich auf Instagram mit einer internationalen Gruppe von Menschen und die Übersetzer-Funktion macht nur bedingt was sie soll – es war also immer eher ein natürlicher Vorgang, auf englisch zu schreiben. Ich übersetze auch nicht, sondern es formuliert sich schon in englischer Sprache in meinem Kopf. Ich habe mal eine Weile versucht auch auf Deutsch zu untertiteln – das war dann eine Art Rückwärts-Übersetzungsleistung, die ich anstrengend und künstlich fand.

Muss Kunst, um erfolgreich zu sein, international sein?

Meine Gegenfrage wäre hier zunächst, was „erfolgreich sein“ bedeutet?! Es liegt doch schon ein gewisser Erfolg darin, sich für die Dinge zu entscheiden, die wir lieben – ungeachtet der Tatsache, ob wir dafür bejubelt werden oder das Bankkonto sich füllt. 

Wenn  es jedoch darum geht, (selbstbestimmt) zu verkaufen und davon leben zu können, dann würde ich beinahe sagen ja. Ich mache zum Beispiel aktuell die besten Geschäfte mit Amerika, Kanada, und Skandinavien. Es zahlt sich also für mich unmittelbar aus, international aufzutreten. Dafür ist aber eine Grundvorraussetzung erstmal „digital“ aufzutreten. Und an der Stelle sehe ich derzeit besonderes Potential: Es  eröffnen sich hier endlich  Möglichkeiten der Teilhabe – und zwar für Menschen, die zum etablierten Kunstmarkt bislang  keinen oder sehr wenig Zugang hatten. Das fasziniert und begeistert mich. Es gefällt mir, weil es Türen öffnet, die bis dato für die allermeisten Menschen (alle außer weißen, heterosexuellen, „gesunden“ cis-Männern  und  seit kurzem eine geringe Anzahl von weißen „gesunden“ cis-Quotenfrauen) hermetisch verschlossen waren. 

Gerade die Kunst sollte da innovativer und im besten Fall sogar revolutionär sein – es  steht im absoluten Widerspruch zum Anspruch gesellschaftliche Prozesse zu hinterfragen und voranzutreiben – aber sie hinkt eher etwas hinterher. Das ist, wenn wir genauer hinschauen, auch kein allzu großes Wunder, denn es geht hier um die Verteilung von Ressourcen.. Die Abgrenzung nach  (und Abwertung des) Außen dient dabei immer der Satabilität im Innern, und damit den Etablierten zur Sicherung von Status und Ressourcen …  (So ist es im Übrigen auch wenn der Kunstmarkt diese von mir gefeierten digitalen Bereiche als belanglos ignoriert, oder als trivial abwertet. Es geht da um Statuserhalt und es ist ganz offensichtlich warum das nötig ist…)

Bird Song (2020)

Für diejenigen die dich nicht kennen, wo kommst du her?

Geographisch komme ich von der Küste. Vom platten Land im äußersten Nordwesten Deutschlands. Ostfriesland. 

Inhaltlich komme ich über Umwege. Politologie und Germanistik, und eine ganze Weile Sozialforschung. Politisch komme ich von links.

Wie lange bist du schon dabei?

Ich habe  immer Kunst machen wollen. So viel zur Theorie. Ich habe ganze Hefte mit Projektideen gefüllt, befand mich aber im jungen Erwachsenenalter in einer Art  stetem Taumel aus Traumatisierung, Schicksalsschlägen und Krankenhausaufenthalten und so blieb das alles lange theoretisch. 

Nachdem ich fast fünfzehn Jahre kaum einmal einen Pinsel in der Hand gehabt habe, und versucht habe „etwas Richtiges“ zu machen, habe ich erst in 2017 wieder angefangen zu malen. Es war also immer irgendwie klar und auch da – „dass ist, was ich will“  – aber es blieb für die meisten Menschen unsichtbar.  Mein Mann hat es immer gewusst und auch eine Freundin, die ich noch aus der Schulzeit habe, sagte mir kürzlich als sie mich nach langer Zeit und zum ersten Mal in meinem Wahnsinnsatelier besuchte „das überrascht mich überhaupt nicht – das habe ich immer erwartet“.

Malst du in deinem Stile seit Anfang an oder hast du ihn erst „irgendwann“ gefunden?

Ich würde fast behaupten der Stil hat mich gefunden. Als ich das erste Mal Aquarelltinten in der Hand hatte, war alles klar. Die Tinten haben mich sofort gefangen genommen. Zum einen ist es das Abtauchen in das Element Wasser das mich fasziniert, zum anderen das Spiel mit dem Kontrollverlust und das Potential aus diesem etwas Wunderschönes und Bereicherndes zu gewinnen. Mich fasziniert, was sich aus dem Zufälligen ergibt und wie ich daran beteiligt bin, wie sich aus diffusen Farbzusammenhängen aus Farbflächen und Verläufen Kreaturen und Geschichten ergeben. Wie das unsere  Fähigkeit etwas zu erkennen und konstruieren spielerisch einbezieht und wie das wiederum die Objektivität unseres verlässlichsten und vermeintlich objektivsten Sinns – des Sehens – infrage stellt.  Ein konstruktivistisches Spiel mit unserer Wahrnehmung –  „ich sehe was, was du nicht siehst“ – ein Spiel, das mich fasziniert und das ich nicht müde werde zu spielen. Ich bin davon so hypnotisch angezogen, dass ich es nicht lassen kann und daraus ergibt sich dann wohl so etwas wie „mein Stil“.

Wie bist du zur Kunst gekommen?

Das habe ich ja schon ein wenig angerissen. Ich habe tatsächlich zunächst einmal einige Jahre alles versucht, um nicht „Künstlerin zu werden“. Ich hatte die Vorstellung dass ich davon niemals leben kann, weil ich nicht „gut genug“ bin, aus meiner Schulzeit mitbekommen, und ich wollte gern in die Welt passen und nach vielen Schwierigkeiten mit denen ich mich so herumgeschlagen hatte auch einfach gern einmal „funktionieren“ und „normal sein“, also habe ich mich eine ganze Weile orientierungslos durch verschiede Berufsfelder getastet. Ich habe Weile als selbständige Sozialforscherin gearbeitet und unter anderem auch in einer Unternehmensberatung als Assistentin der Geschäftsführung. Bei allem, was ich tat kam ich mir falsch – geradezu verkleidet und maskiert vor . Ich war zugleich überfordert und unterfordert. Im Großen und Ganzen war das alles die reinste Qual. Vor allem weil es da noch etwas anderes gab – einen Teil von mir der verschüttet war, ein Funke der sich nicht ganz auslöschen ließ. Als ich dann die Gehirntumordiagnose bekam – und seien wir ehrlich, das fühlt sich zunächst einmal wie ein kurzfristiges Todesurteil an – war das neben der Befürchtung meine Familie im Stich lassen zu müssen, mein größter Schmerz: Mein Leben hatte noch gar nicht angefangen, meiner Berufung war ich nicht gefolgt und einen Sinn hatte ich nichtgefunden. Ich hatte das Gefühl mein Leben endet, bevor ich es überhaupt angefangen hatte zu leben. Ich fing direkt nach meiner Hirn OP wieder an zu malen. Meine durch die OP erworbene Sehbehinderung war mir dabei mehr Inspiration als Hindernis.

Welchen Künstler würdest du gerne einmal treffen?

Oh – das finde ich superschwierig! Ich bin  kein Fan-Typus und wäre furchtbar gestresst… Death or alive? Frida Kahlo vielleicht… Oder Georges Seurat um über optische Phänomene und die „Farblichtmalerei“ zu philosophieren…

Gibt es einen bekannten Künstler ,dem du sein Talent absprechen möchtest?

Wie könnte ich das?! Dazu müsste ich ja festlegen, was „Talent“ ist – ist es Ideenreichtum und Kreativität oder die Fähigkeit naturgetreuer Abbildung, die Fähigkeit sich selbst zu vermarkten? Fleiß, Disziplin, Beharrlichkeit? Erfindergeist und Enthusiasmus? Vielleicht sogar die Fähigkeit zur rechten Zeit die richtigen Hände zu schütteln ( – oder küssen)? All das sind Talente, die unter meinen Kolleg*innen ungleichmäßig verteilt sind, von denen mal die eine mal die andere ans Ziel führen kann, und manchmal eben auch keine.   

Ich würde allerdings ganz frech behaupten, dass es eine ganze Menge cis-männlicher Kollegen gibt, die weniger davon  aufbringen mussten und  müssen. um erfolgreich zu sein, als es beispielsweise eine weibliche* Künstlerinnen um an den gleichen Punkt in ihrer Karriere zu kommen. Es ist also nur bedingt eine Frage des Talents. Das potenziert sich im Übrigen wenn zu Geschlechtsidentitäten weitere Faktoren hinzukommen die zu gesellschaftlichen Nachteilen führen, Hautfarben spielen dabei eine große Rolle, , Religionszugehörigkeit, aber auch Krankheit und Behinderung. Es gibt also in den großen Galerien  und Museen nicht immer unbedingt die größte Kunst zu sehen, sondern ein Gemisch aus förderlichen Voraussetzungen und guter Kunst. Denke ich.

Wenn wir ein bekanntes Magazin währen, was würdest du der Welt sagen?

Das ist ja zum Glück nicht der Fall.

Chicks on speed / Cock on steroids (2020)

Aua. Auf wie viele Ausstellungen blickst du zurück und wie viele Werke hast du erschaffen?

Ausstellungen nicht so viele. Ich male ja erst seit Anfang 2018 wieder “ernsthaft“ – 2019 kam dann tatsächlich schon etwas Bewegung in die Sache und für 2020 war vieles geplant ,von dem sich nur weniges umsetzen ließ. Da gab es dann zwei Online-Ausstellungen als Kompensation für entfallene Ausstellungen. Mit Online-Ausstellungen und Messen sind es gerade mal 9. Ich würde ja sagen Klasse statt Masse, aber da schneide ich mir dann beim zweiten Teil der Frage ins eigene Fleisch: grob geschätzt würde ich sagen habe ich in den drei Jahren mindestens 200 Arbeiten erschaffen.

200 Werke? wie viel Liter Farben wurden dafür verbraucht?

Farbe vielleicht 10 – 20 Liter der hochpigmentierten Tinten, mit denen ich male. Davon braucht’s meist nur ein paar Tropfen. Dafür aber hunderte Liter Kleister, den ich als Bindemittel verwende.

Was ist für die Zukunft in Planung?

Durch Corona geht ja gerade nicht allzu viel. Ich plane eine Ausstellung zusammen mit meiner Galeristin zur Berlin Art Week in meinen Räumlichkeiten. Die ehemalige Kapelle lässt sich großartig – wenn auch nicht ganz mühelos – für solche Zwecke umfunktionieren – auch in 2020 hatte ich da eine Pop up Ausstellung mit dem fem*art Kollektiv (siehe Foto). Vorher wird es wahrscheinlich die eine oder andere im digitalen Raum geben – da plane ich auch etwas mit meiner Galeristin. Und hoffentlich auch in 2021 wieder eine Aktion mit dem fem*art Kollektiv.

Ausstellung: „Aggregatzustände“ fem*art Kollektiv
Ausstellung: „Aggregatzustände“ fem*art Kollektiv

 

Das schönste Feedback von einem Betrachter zu einem deiner Werke?

Ich bekomme unheimlich oft zu hören, dass meine Kunst glücklich macht, „so colorful“, „so beautiful“ „vibrant“, aber wenn ein/e Betrachter*in auch die Tiefe darin erkennt – vielleicht eine Tragik, erfüllt mich das besonders. Oftmals stehe ich mit anderen Menschen vor den Bildern und wir sprechen darüber was wir in Ihnen erkennen, “ach ein Krokodil – ich sehe da eine Prinzessin“ Das ist ein spielerisches Feedback, das den Betrachter:innen so viel Raum gibt und mir Freude macht. Kürzlich wurde mir zu einer Arbeit gesagt, sie erinnere an „feminine Street Art“, und das war besonders gut. Eine Verbindung von zwei scheinbar gegensätzlichen Elementen die ein Neues ergeben. Zudem noch zwei Bereiche, die ich spannend und wichtig, und bislang unterschätzt finde.

Die härteste Kritik für ein Werk?

…eher für mein Gesamtwerk, oder meinen Stil als solches: Mir hat mal eine Kollegin gesagt, sie finde meine Arbeit „hingewichst“… Das ging ihr alles zu leicht von der Hand. Dahinter steckt natürlich die Ansicht, dass die schöpferische Tätigkeit eine in irgendeiner Art anstrengende vielleicht sogar läuternde, leidvolle sein sollte, ich empfinde sie jedoch eher als kathartisch. Das ist tatsächlich aber auch die einzige negative Kritik die ich bislang bekommen habe. Die meisten Menschen finden meine Arbeit sehr ansprechend, oder sie äußern es nicht, wenn es anders ist.

Ein Tipp für junge Künstler?

Wie jung müssten die sein, damit sie ebenso kurz im Geschäft sind wie ich und ich Ihnen hilfreiche Tipps geben kann?!

Weitere Informationen

Weitere Informationen über die Künstlerin gibt es auf ihrer Website.

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