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Ein Gastbeitrag von KaKiKunst
7,77 Milliarden – Du bist vielleicht ´ne Marke! – Katja Kirseck

7,77 Milliarden – Du bist vielleicht ´ne Marke! – Katja Kirseck Bei Gastbeiträgen geben wir Künstlern, Galeristen und allen Kunst-
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7,77 Milliarden – Du bist vielleicht ´ne Marke! – Katja Kirseck

Bei Gastbeiträgen geben wir Künstlern, Galeristen und allen Kunst- und Kulturschaffenden die Möglichkeit sich zu äußern, ihre Gedanken oder Beobachtungen zu teilen oder zu einer Diskussion einzuladen. Es folgt ein Gastbeitrag von Katja Kirseck auch bekannt unter KaKiKunst. Die Rebellin, Chemielaborantin, ehemalige Programmleiterin eines internationalen Bildungssenders, Malerin, Schreiberin und Filmemacherin – gewährt Einblicke in ihre Gedanken.

7,77 Milliarden – Du bist vielleicht ´ne Marke! von Katja Kirseck

„Jeder Mensch ist ein Künstler.“ Diese Aussage von Joseph Beuys ist wohl das schönste Kompliment an die Kreativität des Menschen. Ich hatte schon immer einen Heidenrespekt vor jedem, der sich Künstler nennt. Dazu braucht man, wie ich dachte, mindestens einen akademischen Grad oder ein Atelier voller halbfertiger wie vollendeter Werke; im Idealfall einen quälenden inneren Drang nach Perfektionierung der eigenen Fähigkeiten für die Schöpfung. Ich wurde 1975 geboren, bezeichne mich seit 2017 als Künstlerin, und noch bis vor zwei Monaten begleitete mich das miese Gefühl, den Anforderungen nicht gerecht zu werden, eine Lügnerin zu sein, einen Begriff zu beanspruchen, der mir nicht im Entferntesten zusteht. Ist es denn notwendig, sich Künstlerin zu nennen, wenn man daran zweifelt, eine zu sein?

Stellen Sie sich vor, dass von dem Moment an, da Ihre Erinnerung beginnt, jede Skizze, jede Zeichnung, jedes Bild, das Sie sehen, Bewunderung in Ihnen auslöst, es sei denn, Sie haben es selbst gemalt. Irgendwann finden Sie sicher eine Erklärung im fehlenden Selbstwert, an dem es stets zu arbeiten gilt, doch auch das ändert für Sie nichts daran, dass fremde Werke den eigenen immerfort überlegen sind. Kurz gesagt: Stellen Sie sich vor, Sie wären der untalentierteste Maler, den Sie sich vorstellen können.

Sie sind so weit? Dann stellen Sie sich nun vor, Sie wären stattdessen ein talentierter Geschichtenerzähler. Sie wüssten intuitiv um die Wirkung Ihrer Worte, die sich wie die Schneedecke vor Ihrem Fenster, über alle Farben des Lebens legen können. Wieso sollten Sie sich also Künstler nennen, wenn doch Schriftsteller – als Berufsbezeichnung gleichermaßen ungeschützt – weit mehr zutrifft und Ihrem Talent entspricht?

Ich sehe das genauso, und doch steckte ich über zwanzig Jahre lang in meinem inneren Konflikt fest. Ich hatte aus Respekt vor dem Begriff „Künstler“ nicht einmal darüber nachzudenken gewagt, mich an einer Kunsthochschule für das Studium der Malerei zu bewerben. Stattdessen ließ ich mich einschleusen, um vor allem die anderen Künstler für ihr Talent zu bewundern. Warum will ich mich also – geradezu verbohrt – als Künstlerin der Malerei sehen, ohne die Fähigkeit des Malens in die Wiege gelegt bekommen zu haben?

Ich weiß es nicht. Doch die Einsicht, niemals diesem Anspruch gerecht werden zu können, blieb wirkungslos. Stattdessen hoffte ich, eines Tages wenigstens einen Schattenwurf im Vorhang zeichnen zu können. Es wollte nicht gelingen. Natürlich hätte ich Strich für Strich einer Vorlage abmalen können, mich mit dem Malen nach Zahlen auseinandersetzen müssen, doch dafür fehlte mir die Ausdauer, und ich wollte auf keinen Fall meine Liebe zur Malerei durch das Kopieren von Strichen und Punkten gefährden. Wenn ein Bild nicht im Künstler selbst zu finden ist, hat er keinen Anspruch darauf, sich Künstler zu nennen. Keine Sorge, das gilt natürlich nicht für Sie und die 7,77 Milliarden Menschen. Das gilt nur für mich. Ich möchte mir nicht anmaßen, das Bild eines Künstlers danach zu bewerten, ob es aus ihm und der Tiefe seines Strebens entstand, den Anforderungen an einen Künstler gerecht zu werden.

Ich behaupte nur, dass das Streben jedes Einzelnen die Antwort darauf birgt, wie wertvoll seine Schöpfung für die Menschheit sein kann. Jeder Mensch hat das Recht, seine Schöpfung zum Erwerb anzubieten. Doch darf sich jeder Schöpfer der ungeschützten großen Begriffe wie Schriftsteller, Künstler oder Dichter bedienen?

Was ist mit der Erfindung des Teelichtes, welches – Sie werden mir zustimmen – jeden dunklen Keller in einen Ort der zeitlosen Romantik verwandeln kann? Ob sich Ericus Gerhardus Verkade angesichts seiner Schöpfung als Künstler sah? Und was ist mit einer Künstlerin auf dem Flohmarkt, die – wahrscheinlich ohne sich dessen bewusst zu sein, von Verkades Schöpfung inspiriert – bunt bemalte Papiertüten für Teelichter anbietet? Ist mir die Papiertüte für ein Teelicht weniger wert als ein handelsübliches Urinal? Ist mir der millionenfach verkaufte Handy-Klingelton „Crazy Frog“ weniger wert als die „Ode an die Freude“? Ist mir die Wand hinter dem Werk einer Mona Lisa weniger wert als das Gemälde selbst?

Worin unterscheidet sich der Wert einer Schöpfung von dem einer anderen? Am Ende doch im Streben des kreativen Geistes nach dem Leben, das er führen zu müssen oder zu wollen glaubt. Dem Streben nach Macht, Geld, Ruhm, Erfolg, Glück, Gott, Erleuchtung, einem besseren Leben, Heilung, Sicherheit, Sex, der ewigen Liebe …

Offenbart sich ein Künstler in seiner Schöpfung, sind wir Voyeure seiner Emotionen. Wir baden in ihrer Intensität. Je intellektueller wir zu sein scheinen, desto größer wird unsere Suche nach einem übergeordneten Sinn und der Hoffnung darauf, Antworten in künstlerischen Werken zu entdecken. Dabei ist es unerheblich, woraus die Schöpfung entspringt. Ob aus einer narzisstischen Sucht nach Bestätigung, dem histrionischen Streben nach Beachtung, der Flucht aus bitterer Einsamkeit oder der Hoffnung auf Unvergänglichkeit: Es scheint eine kreative Kraft zu geben, die danach strebt, sich als Teil der Gemeinschaft und dennoch als außergewöhnliches Individuum zu fühlen.

Im Spektrum der Kunst findet sich das Spektrum der kreativen Fähigkeiten jedes einzelnen der 7,77 Milliarden Menschen – vom absoluten Nullpunkt, dem leeren Raum, der Unbeweglichkeit von Körper und Geist bis zur aufopfernden Suche nach der Entschlüsselung der Natur. Wo befindet sich das eigene Schaffen in diesem kreativen Spektrum? Fragen, denen sich gut auf den Grund gehen lässt, wenn wir an prall gefüllten Regalen im Supermarkt vorüberziehen, wenn wir uns an der Wildheit der Natur erfreuen, deren Ressourcen wir unseren Bedürfnissen unterworfen haben, wenn wir uns Künstler nennen, ohne dass unser Schaffen an den fundamentalen Werken und Errungenschaften der Kunstgeschichte wächst.

Nach zwanzig Jahren unbeirrbaren Strebens, dem Titel Künstler gerecht zu werden, das ich weder aufgeben werde noch kann, wird es Sie vielleicht wie mich überraschen, dass ich es mir heute zugestehe.

Sollten Sie widersprechen wollen, bleibt mir immerhin dieses Zitat aus einem der bedeutendsten Werke der Literatur zu meiner Verteidigung: „Es irrt der Mensch, solang er strebt.“ – Prolog im Himmel; aus Goethes Faust

Vielleicht sehen wir uns eines Tages in unseren Werken?
Das würde mich freuen!
Ihre Katja Kirseck

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Titelbild: Anthropozän“, Acryl auf Leinwand, 120×80 by Katja Kirseck- nimmt mit diesem Werk Bezug auf die Anthropozän Hypothese: die Entstehung des menschlichen Bewusstseins, symbolisiert durch ein Mädchen mit einem Apfel in der Hand; der Einfluss des Menschen auf die Erde, symbolisiert durch Farbgebung und Abstraktion der Umgebung; die notwendige, bewusste Konzentration auf die gegenwärtige Situation, symbolisiert durch die Rune Algiz; schon im ersten Augenblick liegt der Same für den kommenden; ist sich der Mensch der Gegenwart bewusst, hält er seine Zukunft in der Hand.

Weitere Informationen über die Künstlerin Katja Kirseck: KaKiKunst | Filmproduktion | Berlin

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