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Straßenkunst
Sondernutzungsgenehmigung für Straßenkunst? BVerwGe 84, 72 ff.

Dies bejaht der Senat für regelmäßige Darbietungen. Für Spontankunst gilt dies im Einzelfall jedoch voraussichtlich nicht, wenn es die Ausübung
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Im Urteil BVerwGE 84, 72 hatte das Bundesverwaltungsgericht darüber zu entscheiden, ob Straßenkunst eine straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis  erforderlich macht.

Dies bejaht der Senat für regelmäßige Darbietungen. Für Spontankunst gilt dies im Einzelfall jedoch voraussichtlich nicht, wenn es die Ausübung der Kunstfreiheit unnötig erschweren und gegebenenfalls unmöglich machen würde.

Grundsätzlich sind Straßen öffentliche Sachen im Gemeingebrauch, wobei Hauptzweck einer Straße der der Fortbewegung ist. Dies ist jedoch nicht ihr Hauptzweck. So ist auch ein kommunikativer Nebenzweck der Straßennutzung immanent. Man könnte daher die These vertreten, dass Straßenkunst mit kommunikativen Schwerpunkt als Gemeingebrauch qualifizierbar sei.

In diesem Sinne entschied auch das Berufungsgericht (NJW 1989, 1299 = VBlBW 1989, 58 = DÖV 1989, 128 m. Anm. Goerlich):

Bei der Herstellung von Schattenrißbildnissen handele es sich nicht um ein Gewerbe, sondern um eine künstlerische Tätigkeit, die in Europa seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zu den anerkannten Formen künstlerischer Äußerungen gehöre. Eine solche Betätigung im öffentlichen Straßenraum gehöre zum Gemeingebrauch. Darunter sei nicht nur der Verkehr im engeren Sinne der Ortsveränderung, sondern auch der sog. kommunikative Verkehr zu verstehen […]. Ob der landesstraßenrechtliche Verkehrsbegriff so eingeschränkt sei, daß er kommunikative Aktivitäten nicht als isolierten Hauptzweck, sondern nur als Nebenzweck der Straßennutzung umfasse, könne dahinstehen. Denn der Begriff des Gemeingebrauchs sei zugleich durch die grundrechtlichen Gewährleistungen bundesverfassungsrechtlich geregelt. So seien die straßenrechtlichen Begriffe „Verkehr“ und „Gemeingebrauch“ u.a. durch die Garantie der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) überlagert und müßten im Lichte dieses Grundrechts verfassungskonform ausgelegt und abgegrenzt werden. Kunst, vor allem auch die Straßenkunst, sei öffentlichkeitsbezogen und daher auf öffentliche Wahrnehmung angewiesen. Die Kunstfreiheit dürfe nur zum Schutz gleichrangiger, also verfassungsrechtlicher Rechtsgüter eingeschränkt werden. Bei einer verfassungskonformen Abgrenzung des Gemeingebrauchs von der Sondernutzung müsse daher jeweils im konkreten Einzelfall geprüft werden, ob durch die Straßenkunst die Grenze der Gemeinverträglichkeit deshalb überschritten sei, weil grundrechtlich geschützte Positionen Dritter in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigt würden; nur in diesem Fall habe die Freiheit der Kunst zurückzutreten und dürfe eine Sondernutzung angenommen werden.

Dieser Auffassung trat nun jedoch das Bundesverwaltungsgericht entgegen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sei gerade nicht davon auszugehen, daß Straßenkunst grundsätzlich als Gemeingebrauch zu qualifizieren sei.

Der Senat verkennt nicht, daß die Notwendigkeit, eine Erlaubnis einzuholen, die Ausübung von Straßenkunst erschweren kann (vgl. hierzu vor allem Hufen, DÖV 1983, 353 ff. und Städtetag 1983, 394 ff. sowie Würkner, NVwZ 1987, 841 ff.; NJW 1987, 1793 ff. und NJW 1988, 317 ff.). Die Beeinträchtigung der Kunstfreiheit ist jedoch nur gering, wenn es sich – wie auch im Fall der Klägerin – um eine längerfristig geplante, möglicherweise in gleicher Weise sich wiederholende Betätigung handelt, für die unter Umständen nur einmal eine Erlaubnis einzuholen ist.

Dabei erhebt das Bundesverwaltungsgericht insbesondere Bedenken in Hinblick auf im Einzelfall störende Straßenkunstdarbietungen. Auf diese könnte nur reaktiv reagiert werden, sodass es angemessener erscheint eine Sondernutzungsgenehmigung einzuholen. Dabei reduziert sich das Ermessen der Behörde bei der Entscheidung ob die Erlaubnis erteilt wird gegebenenfalls auf Null, sodass ein Anspruch auf Erteilung der Genehmigung besteht.

Fehlt es an derartigen Satzungsregelungen, bleibt es zwar bei der Notwendigkeit, zuvor eine Erlaubnis einzuholen, doch entfaltet auch hier der hohe verfassungsrechtliche Rang der in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GGgewährleisteten Kunstfreiheit seine rechtliche Wirkung. Die Erlaubnispflicht für Sondernutzungen ist eine formale Schranke, die noch nichts über die Zulässigkeit der beabsichtigten Straßennutzung aussagt. Das der Erlaubnisbehörde eingeräumte Ermessen muß, soweit es um den Ausgleich kollidierender Grundrechtspositionen geht, nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz ausgeübt werden. Ergibt die Prüfung des Einzelfalles, daß die straßenkünstlerische Darbietung weder die durch Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 GG im Kern geschützten Rechte der Verkehrsteilnehmer noch das Recht auf Anliegergebrauch (Art. 14 Abs. 1 GG) noch andere Grundrechte, z.B. Art. 2 Abs. 2 GG  im Falle erheblicher Geräuschimmissionen, ernstlich beeinträchtigt, wird in aller Regel das Ermessen reduziert sein und ein Anspruch auf Erlaubniserteilung bestehen (vgl. auch Beschluß des Senats vom 19. Dezember 1986 a.a.O.). Der mit dem Zwang zur Einholung einer Erlaubnis verbundene Verlust an Spontaneität wiegt im übrigen auch deshalb nicht unverhältnismäßig schwer, weil er – gerade auch für die Straßenkünstler – durch einen Gewinn an Rechtssicherheit ausgeglichen wird (vgl. dazu auch Bismark, NJW 1985, 246).

Danach macht der entscheidende Senat jedoch mit Blick auf die sogenannte Spontankunst eine kleine Rolle rückwärts und erwägt die Möglichkeit, dass im Falle solcher spontanten Kunstdarbietungen eine Erlaubnispflicht die Kunstfreiheit unnötig erschweren wenn nicht gar unmöglich machen könnte.

Der Senat braucht nicht abschließend zu entscheiden, ob die Gewährleistung der Kunstfreiheit bei besonderen Fallgestaltungen ausnahmsweise die Erlaubnisfreiheit für straßenkünstlerische Betätigungen verlangt und damit zur Annahme einer gemeingebräuchlichen Nutzung oder, sofern das maßgebende Landesstraßenrecht eine derartige Konstruktion zuließe, einer erlaubnisfreien Sondernutzung zwingt. Dies könnte der Fall sein, wenn der Gang zur Erlaubnisbehörde nicht nur eine Lästigkeit wäre, sondern die Kunstausübung praktisch unmöglich machte. Zu denken ist hierbei vor allem an „Spontankunst“ in dem Sinn, daß das künstlerische Werk nur entweder spontan oder gar nicht vollbracht werden kann, wenn also die Präsentation einmalig und so nicht wiederholbar ist. In Anlehnung an das zu Art. 8 GG entwickelte Rechtsinstitut der „Spontanversammlung“ mag hier das formelle Erfordernis der Erlaubnis als unzulässig angesehen werden (vgl. auch Steinberg, NJW 1978, 1898  zur vergleichbaren Problematik von Meinungsfreiheit und Straßennutzung

Im entschiedenen Falle handelte es sich bei der Klägerin jedoch um eine Künstlerin, welche regelmäßig Straßenkunst darbot, sodass diese Ausnahmeregelung nicht entschieden werden musste.

Für spontane Darbietungen erscheint es daher möglich, in Parallelwertung zu Spontanversammlungen auch ohne straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis tätig zu werden. Es wäre wünschenswerter zu lesen gewesen, wenn der Senat grundsätzlich von einer erlaubnisfreien Nutzungsmöglichkeit bei spontaner Straßenkunst (z.B. in ständig wechselnden Städten) ausgegangen wäre, um dann auf den konkreten Fall zu kommen. Dann hätte der Senat auf die Erforderlichkeit einer Sondernutzungsgenehmigung bei regelmäßiger künstlerischer Tätigkeit eingehen können.

So kommt für den kunsttreibenden Leser des Urteils das Beste erst zum Schluß.

Bildquelle: marya from San Luis Obispo, USA : https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Street_artist_in_San_Luis_Obispo,_California.jpg