Der Kunstverein Konstanz eröffnet das Ausstellungsjahr mit der Ausstellung „time sheets“ der Berliner Künstlerin Bettina Rave, die in ihrer Malerei und Videokunst von einem konzeptionellen Ansatz ausgeht.
Bettina Rave – time sheets – im Kunstverein Konstanz
Time sheet bezeichnet zunächst das Arbeitszeitblatt, auf dem die Stunden, die für eine Tätigkeit aufzuwenden waren, kontrollierend festgehalten werden. Zugleich kann sheet als Papier oder Leinwand verstanden werden, der Malgrund, auf dem sich time aus verschiedenen Perspektiven fassen lässt.
Tatsächlich ist es das wechselhafte Phänomen Zeit, das drei unterschiedliche Werkgruppen der Künstlerin verknüpft:
Ganz auf den einzelnen Moment ihrer Produktion bezogen erscheinen die Farbfleckbilder, zufallsbasierte, monochrome Formen, deren polaroidähnlichen Proportionen zusätzlich auf die Zeit als Augenblick verweisen. Zu Grunde liegt die Überlegung Raves, dass, wenn die kleinste Einheit einer Zeichnung die Linie ist, die kleinste Einheit von Malerei der Fleck sein könnte, dessen Entstehung einen Punkt im Strom der Zeit markiert.
Die Zeit als messbar-reguliertes Vergehen wird in der malerischen Umsetzung von 12 Liedern Leonard Cohens deutlich: jedem Ton wird eine Farbe zugeordnet, den einzelnen Tonlängen entsprechen unterschiedlich breite Farbstreifen, die aneinandergereiht je nach Song-Dauer die Gesamtbreite des Werkes ergeben.
Entstanden sind farbintensive, konstruktiv strenge Arbeiten, in denen der Rhythmus der visuellen Umsetzung die zugrundeliegenden musikalischen Einheiten neu erfahren lässt – auf Wunsch auch im unmittelbaren Vergleich, wenn die Cohen-Songs auf dem bereitstehenden Tonträger abgespielt werden.
Die neuesten Arbeiten: 2020-23
Die Zeit als stete, richtungsgebundene Abfolge von Ereignissen wird in den neuesten Arbeiten (2020-23) anschaulich: die Künstlerin schlägt den Bogen zurück in die Vergangenheit, nimmt Werke der Renaissance-Malerei analytisch in den Blick und transponiert sie in ihren malerischen Prozessen in die Gegenwart. Allerdings nicht ein gesamtes Werk – vielmehr konzentriert sich Rave auf Ausschnitte dieser Werke, Darstellungen kostbarer Stoffe, die sie in einem Vergrößerungsfaktor 1:4 zoomt, um für dieses Teilbild den Malprozess eines Künstlers wie Bellini oder Tizian zu imaginieren und nachzuvollziehen. In langwierigen Arbeitsprozessen, in denen jeder einzelne Leinwandfaden sorgsam gezeichnet wird, entsteht die Stofflichkeit der Originalgemälde, etwa Giovanni Bellinis Compianto sul Cristo morto von 1515, neu. Zugleich werden den Betrachtenden die zeitlich gestaffelten Abläufe offenbart. Scheinbar unbemalte Leinwandstrukturen, erste flächige Farbauftragungen stehen neben fein ausgearbeiteten Fältelungen eines Gewands, das in seiner Räumlichkeit den in der Vergrößerung ausgeblendeten Körper ahnen lässt – eine Gleichzeitigkeit malerischer Prozesse, die im Vergleich zu den historischen Vor-Bildern aber das Stadium letzter Vollendung vorenthalten.
Ausgangspunkt für diese Arbeiten waren Bettina Raves Reflexionen zum Medium Malerei, der Beziehung zwischen Malprozess und Material, die zu einer malerischen Darstellung des klassischen Bildträgers, der Leinwand, führten. Wiederum in einer 1:4-Vergrößerung konzentriert Rave sich auf das bräunliche Geflecht dieses Malgrunds, erfasst dessen Stofflichkeit als ein in die Vergangenheit weisendes Zeichen, um von dort in die Kunstepoche der Renaissance mit deren feinmalerischen, detailtreuen Darstellung prächtiger Stoffe zu finden, wie sie nun in ihren aktuellen Arbeiten analysiert wird. Indem aber diese Vergegenwärtigung historischer Malfertigkeit ganz bewusst nie das Stadium der Vollendung erreicht, werden die offengelegten Schichtungen des Unfertigkeiten zu einer Projektionsfläche auf Zukünftiges.
In diesem Spannungsfeld konzeptueller Überlegungen zum Medium Malerei und den unterschiedlichen Ausarbeitungen Raves wird die Spur zu einer weiteren möglichen Deutung des Ausstellungstitels gelegt: „time sheets“ ist die Anwesenheitsliste, mit der die Künstlerin sich – und uns – versichert: „Ich bin da!“.
Ausstellung „time sheets“ – Bettina Rave
25.2. – 30.4.2023
Eröffnung: Freitag, 24.2.2023, 19 Uhr. Begrüßung Michael Günther, 1. Vorsitzender
Einführung: Dr. Dolores Claros-Salinas, Kunstverein Konstanz
Kunst-Plausch Mittwoch, 22.03.2023, 18-19:30 Uhr
Neu: kostenfreier Workshop für Studierende und junge Erwachsene zur aktuellen Ausstellung
Kunstnacht Freitag, 25.03.2023
Konstanz Kreuzlingen Videoarbeiten von Bettina Rave im Innenhof Wessenberg-Haus
Lesung Jana Revedin Mittwoch, 26.04.2023, 19 Uhr. Die gebürtige Konstanzerin, Architekturprofessorin (Paris), Romanautorin, liest aus ihrem literarischen Werk
Gerne weisen wir auf Bettina Rave, vis à vis / Galerie Vayhinger, Singen 25.02. – 30.04.2023 hin. / Eröffnung SA 25.02.2023 / 17 Uhr
Zeitgleich Galerie Vayhinger in Singen
Zeitgleich zur Ausstellung Bettina Raves im Kunstverein Konstanz zeigt die Galerie Vayhinger in Singen Arbeiten der Künstlerin unter dem Titel vis à vis. Vom 25.2. – 30.4.2023, die Eröffnung findet am 25.2.2023 um 17 h statt.
Anlässlich der Kunstnacht Konstanz Kreuzlingen am Freitag, 25.03.2023, werden Videoarbeiten Bettina Raves aus den Jahren 1991 bis 2019 im Innenhof des Wessenberg-Hauses projiziert.
Im Begleitprogramm zur Ausstellung wird am Mittwoch, 26.04.2023 um 19 h, eine Lesung angeboten. Jana Revedin, gebürtige Konstanzerin, international ausgezeichnete Architektin, Architekturtheoretikerin und Professorin an der Pariser Ecole Spéciale d´Architecture und zugleich eine überaus erfolgreiche Romanautorin, liest aus ihrem literarischen Werk.
Weitere Informationen
Weitere Informationen über die Ausstellung: http://www.kunstverein-konstanz.de.
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