"Die beste Zeit, eine Galerie zu gründen, ist jetzt" - Robert Heidemann
Galerie gründen: Die richtige Standortwahl
Ein kostenloses Kapitel aus dem erscheinenden Ratgeber: „In einer Woche zum Starkurator“. In dem nicht ganz so ernstgemeinten Ratgeber für Kunstfreunde und jene die es werden möchten, gehe ich auf die Galeriegründung und die richtige Standortwahl ein. Seit 2017 existiert ARTTRADO, seitdem durften wir die ein oder andere Ausstellung begleiten und den ein oder anderen Künstler kennenlernen. 2020 krachte dann Corona in die Kunstwelt und crashte die Veranstaltungsbranche. Den „vergangenen“ Lockdown haben wir genutzt um unsere Erlebnisse und Erfahrungen etwas festzuhalten. Zwischen den Terminen die nicht abgesagt wurden, Existenzängsten und Burnout hatten wir die Zeit etwas zu schreiben. In der Krise schreibt es sich bekanntlich am besten. Vielleicht entstand die Idee für ein Buch mit dem Titel „In 7 Tagen zum Starkurator“ auch als eine Art Selbsttherapie. Das ganze wird irgendwann auch als gebundenes Werk erscheinen. Bei Interesse abonnieren Sie den Newsletter!
Die Standortwahl
Welches Konzept für die Galerie Sie letztendlich wählen, ist vollkommen egal, der Standort machts. Wie in jedem Gewerbe, in jeder anderen Branche ist die Standortwahl entscheidend für Erfolg oder eben Misserfolg. Als Starkurator streben Sie natürlich alle relevanten Metropolen an, doch passt Ihr Konzept überhaupt in eine Großstadt? Möchten Sie Ihre Exponate einer Laufkundschaft präsentieren oder möchten Sie fernab des Großstadtdschungels einen Kunst- und Kulturort erschaffen? Eine Pilgerstätte für Kunstfanatiker? Eine Wohlfühloase funktioniert wohl besser mit exklusiven Einladungen und in einer ruhigeren, ländlichen Umgebung ohne Verkehrschaos, dafür vielleicht mit einem integrierten Hotel, fernab des Großstadtdschungels? Wenn Sie Kunst nicht nur den Reichen und Schönen zugänglich machen wollen und eher für Urban Art, Graffitis und ähnliche Street-Art stehen, ist es angebracht und authentisch, Ihre Galerie auch dort zu eröffnen, wo diese Sprache der Kunst gesprochen wird, nicht in den Nobelvierteln, sondern eher im Brennpunkt. In dem Fall stellen Sie den Kids des Viertels Sprühdosen und Wände zum Selbstgestalten zur Verfügung oder lassen die Fassade Ihrer Galerie von außen künstlerisch gestalten.
Mit Glück fühlen die kleinen Racker sich eines Tages zu Ihnen verbunden und schmeißen nicht als Beschäftigungstherapie Ihre Scheiben ein, weil Sie für einen weiteren langweiligen reichen Schnösel aus der Oberschicht gehalten werden.
Wenn Sie keine Lust auf explodierende Mietpreise, Rowdys, Problemkinder oder Schutzgeldforderungen haben, beginnen Sie Ihre Laufbahn am besten erst mal fernab des Mainstreams. Nehmen wir zum Beispiel die Hauptstadt Berlin. In Berlin gibt es etwa 400 mehr oder weniger große und relevante Galerien und mehr als 175 Museen inklusive Ausstellungshallen. Sprich weit über 500 potenzielle Feinde, Sie können davon ausgehen, dass Sie nicht mit offenen Armen empfangen werden. Der Kunstmarkt ist hart umkämpft, nicht nur in Berlin. Die Kaufkraft des Durchschnittsbürgers sinkt und der Otto-Normal-Verbraucher hat in einer Großstadt doch kaum noch die Zeit, sich um sich selbst zu kümmern und die ganzen Vernissagen sind in der Hauptstadt doch nur überlaufen wegen des kostenlosen Alkoholausschankes.
Wollen Sie wirklich schon in den Hahnenkampf hüpfen, wo Sie doch grade erst aus dem Ei geschlüpft sind? Klar, Konkurrenz belebt das Geschäft und wo es bereits 99 Kneipen gibt, da wird die hundertste auch laufen, aber wir reden hier nun mal nicht von Bars oder Pubs für den gemeinen Pöbel. Es geht um Kreativität, künstlerisches Schaffen, um Schöpfungen in Perfektion, um Energien und um Geld. Die meisten Menschen sind von der Könnerschaft schneller übersättigt als von Schnaps. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass Ärzte mir bestätigt haben, dass es mehr Alkoholsüchtige als Kunstsüchtige gibt.
„Try and error“ kann schnell teuer werden oder tödlich enden. Sie haben nicht unendliche Versuche. Kein Netz und kein doppelter Boden. Selbst wenn Sie über die finanzielle Freiheit verfügen und eigentlich nur Ihr Hobby zum Beruf machen möchten, dürfen Sie sich nicht verspekulieren. Eine Galerie kann man nicht mir nichts, dir nichts wieder schließen. In den Augen aller hätten Sie versagt. Die erste Galerie ist ein Flaggschiff. Eine Flotte kann nach Belieben vergrößert werden, aber unter keinen Umständen sollte man ein Schiff verlieren, erst recht nicht das Erste. Es aufzugeben grenzt an Hochverrat. Der gottverdammte Kapitän geht mit seinem Schiff unter. Wenn Sie auf einem Kontinent gescheitert sind, können Sie, wenn Sie schnell genug sind, Ihr Glück noch mal auf der anderen Seite vom Großen Teich oder im fernen Asien probieren. Vorausgesetzt das man dort noch nicht von Ihrem Fauxpas gehört hat.
Achten Sie auf das Image des Stadtteils wie auf Ihr eigenes. Die Kaufkraft der potenziellen Kunden variiert stark, ist im Wesentlichen aber zweitrangig, kostenintensivere Kunst wird in der Regel sowieso nicht von Laufkundschaft erworben.
Das Durchschnittseinkommen in Deutschland lag 2019 bei knapp 47.930 Euro brutto, also in etwa. 2480 Euro netto – monatlich. Je nach Steuerklasse. Die meisten Menschen geben nicht einmal 10 % Ihres Einkommens für Kunstwerke aus, nicht einmal 5 %. Eher im 0 Kommabereich. Sie betreiben also so oder so Nischenmarketing.
Die Konkurrenz am Ort sollte geprüft werden. Ein Blick auf die Galerien und Museen, die sich bereits am Standort befinden, hilft Ihnen, die Situation einzuschätzen. Lassen Sie sich von großen Namen nicht zu sehr beeinflussen, selbst diese verkaufen nicht selten nur 3 oder 4 Kunstwerke pro Quartal. Interessant wird es bei den kleineren Galerien vor Ort. Wenn Galeristen sich halten können, ohne Kunstwerke im 5-stelligen Bereich anzubieten, scheint es in der Gegend einen Kundenstamm für preiswertere Kunst zu geben.
Sowieso sollten Sie in Ihrem Repertoire für jedermann etwas haben. Das Schaufenster sollte Besucher reinlocken und nicht mit sündhaft teuren Preisen verschrecken, vielleicht entscheiden Sie sich auch dazu, auf den ersten Blick keine Preise zu nennen, denn so trennen Sie die Spreu vom Weizen, wer reinkommt, will es kaufen, koste es, was es wolle. Bei der Standortwahl sollten also große Schaufenster berücksichtigt werden. Kostentabellen können Sie in Ihrem aktuellen Ausstellungskatalog abdrucken und dem Besucher mitgeben. Das hat gleichzeitig den Effekt, das in Ruhe über den Preis nachgedacht und sich auch noch zu Hause mit Ihrem Angebot beschäftigt wird.
Ebenso müssen Sie die Miethöhe, eventuelle Transportkosten und öffentliche Verkehrsanbindung kalkulieren. Wenn Sie die Werke Ihrer Künstler und Ihre Ausstellungsstücke regelmäßig zu Kunstmessen liefern lassen, werden Sie merken, dass diese immer sehr zentral stattfinden. Ein Nachteil, wenn Sie Ihre Basis in der Pampa aufbauen.
Denken Sie über ein gesichertes Lager nach, Sie werden vermutlich nicht immer alle Exponate gleichzeitig zur Schau stellen. Mit einer geordneten Lagerfläche können Sie rotieren und einige Stücke sollen eventuell auch erst auf einer Messe oder zu einem bestimmten Anlass enthüllt werden, dann ist es von Vorteil, wenn Sie über externe Räumlichkeiten in zentraler Lage verfügen.
Informieren Sie sich, ob Ihr neues Zuhause in einer Straße liegt, die für Krawalle bekannt ist. Ich war während des G20 in Hamburg in der Schanze und glauben Sie mir, Sie wollen Ihr Herzstück nicht in der Schussbahn haben, wenn es zu politischen Ausschreitungen kommt. Proteste um den 1. Mai rum werden zwar auch immer überschaubarer, doch es gibt ja noch andere Demonstrationen. Zu Recht, doch es ist besser für Ihr Inventar, wenn Sie sich nicht mittendrin befinden. Vielleicht möchten Sie eine Galerie in der Schanze, doch die Schanze möchte keine Galerie.
Basics wie Stromleitung und fließendes Wasser sollten vorhanden sein, ich erwähne dies, weil ich 2019 tatsächlich in einer Hamburger Galerie zu Gast war, die sich bei der Gründung mehr um ausreichend Parkplätze gesorgt hat als um eine Wasseranbindung. Die zusätzlichen Kosten in Höhe von circa. 48.000€ hätten vermieden werden können.
Fernab der Big Player in London, New York, Basel, Paris, Wien und Co. können Sie einen Kundenstamm ruhiger aufbauen und sich schöne Räumlichkeiten zu günstigeren Mieten sichern. Wenn Sie sich erst einmal einen Namen über die Grenzen Ihrer Ortschaft gemacht haben, wird Ihre Galerie schnell von allein Sammler und Kunstfreunde aus der ganzen Welt anziehen. Gutes setzt sich immer durch.
Wenn Sie in der Tat direkt in einer Metropole durchstarten wollen, haben Sie den Vorteil, dass Sie sich im Windschatten der Konkurrenz anschleichen können, ohne etwas Eigenes kreieren oder aufbauen zu müssen. Sie können darauf hoffen, dass ab und an ein Krümel des riesigen Kunstmarktkuchens für Sie abfällt.
Fragen Sie sich selbst lieber eine weitere hässliche Galerie in New York oder etwas Einzigartiges in einem kleinen Vorort? Bei Letzterem können Sie sich auch noch Fördergelder von Stadt und Staat sichern, schließlich tragen Sie einen erheblichen Teil zur kulturellen Entwicklung bei, Sie als Starkurator. Mit dieser Basis können Sie sich einen finanziellen Puffer anlegen. Absicherung ermöglichen es im richtigen Moment zu expandieren oder Sie entscheiden sich dazu, die Monopolstellung über die kommenden Jahre vor Ort zu festigen. Denn sobald Ihre Arbeit erste Früchte trägt, werden andere Kuratoren und Galeristen versuchen, sich in Ihrer Nähe niederzulassen.
Vergleichen Sie Mietangebote sorgfältig miteinander, schauen Sie in die Zukunft und berechnen wie sich die Situationen entwickeln werden. Galerien tragen in Großstädten maßgeblich zu Gentrifizierung bei, zeigen Sie also Respekt, falls für die Eröffnung ihrer Galerie mehrere Familien ausziehen müssen, weil Sie das ehemalige Wohngebäude umbauen lassen wollen.
Überstürzen Sie nichts. Die erste Galerie ist die schwierigste. Wenn Sie den ersten Schritt gemeistert haben, werden die Folgenden ein Kinderspiel. Copy and Paste. Copy and Paste. Copy and Paste.
Die Galerien und Ausstellungshäuser, die sich nicht entschieden haben, mit der Zeit zu gehen, werden mit der Zeit gehen. Schon 2018, lange vor Corona, konnte man ein großes Aussterben in der Szene beobachten, Galerien mussten schließen, weil Sie sich verausgabt haben, um auf dem internationalen Messeparkett mitzuhalten. 2013 gab es schon große Debatten, dass die großen Häuser immer größer werden und die kleinen, eben immer kleiner, geändert hat sich seitdem nicht viel. Jérôme und Emmanuelle de Noirmont, bekannte Pariser Galeristen weigerten sich Ende 2012 dieses Spiel mitzuspielen, sie vertraten Künstler wie Jeff Koons, Keith Haring oder A. R. Penck aber Sie wollten keine „Megagalerie“ werden, sie wollten die Anzahl der Angestellten nicht verdoppeln und alles noch weiter ausbauen. Also entschieden Sie sich dazu, sich ohne eigene Ausstellungsräume für die Kunstwelt einzusetzen. Wie Nomaden.
Kurz gesagt, Sie schlossen. Wer nicht wachsen möchte, ist raus. Ich habe nie wieder was von Ihnen gehört, aber okay – sie vermutlich auch nicht von mir.
Immer häufiger stehen Galerien samt Inventar zum Verkauf, wenn Sie ein anerkannter Starkurator mit eigenem Büro und dem nötigen Kleingeld sind, wird es für Sie ein leichtes Spiel, sich diese toten Seelen einzuverleiben und das Imperium zu erweitern.
Legen Sie ihre Ziele fest und Sie werden den richtigen Standort finden.
Wo lassen sich Ihre Ziele am besten umsetzen?
Zu welcher Stadt fühlen Sie sich verbunden?
Unter welchen Wetterbedingungen können Sie sich konzentrieren?
Ein Starkurator ist flexibel. Denken Sie in Lösungen nicht in Problemen.
Die Frage ist: „Wo wollen Sie arbeiten?“
Weitere Informationen
Falls Sie sich fragen was ein Starkurator überhaupt ist: In 7 Tagen zum Starkurator: Aber…was ist eigentlich ein Starkurator?
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