Gelegentlich widmen wir ARTTRADO nicht nur Maler*innen, Bildhauer*innen oder Performance-Künstler*innen, sondern eben auch der Kunst des Schreibens. Autoren fallen definitiv unter die Rubrik Künstler, nur das sie Bilder nicht mit Farben, sondern mit Worten malen. Diese Bilder entstehen dann eben nicht auf Leinwand, sondern in unseren Köpfen.
Buchrezension: – Pimmelburg von Stefan Müller
Wenn ein Werk mich positiv beeinflusst hat, mich zum Nachdenken animiert hat oder anderweitig Spuren hinterlassen hat, teile ich es im Rahmen meiner Möglichkeiten auch hier mit unseren Lesern. Mir persönlich ist es wichtig, auch mal ein Buch aus einer anderen Sparte als die „klassische Kunstlektüre“ zu lesen. Meine letzte Buchrezension finden Sie hier: Leser sprechen über den Roman „Das Lächeln am Rand der Welt“ von Knud Hammerschmidt
Lassen Sie sich von einem Pimmel auf dem Cover und im Titel nicht abschrecken. Definitiv ein Buch für welches ich mich nicht schäme, wenn es in der Zukunft im Regal hinter meinem Schreibtisch in der Galerie steht. Die Pimmelburg macht sich super zwischen Johann König, Stefan Koldehoff, Tobias Timm, Paulo Coelho, Schiller und Claudia Herstatt. Wie heißt es so schön? – dont judge a book by its cover!
Wenn sie bereits soweit sind, das sie keine Bücher nach dem Äußeren bewerten, sondern nach Inhalt, gehen sie einen Schritt weiter und wenden sie selbiges bei ihren Mitmenschen an. Danke.
Die Pimmelburg von Stefan Müller
Pimmelburg ist das Solo-Debüt von Müller. Das Werk wurde am 08. Mai 2019 über den Tredition-Verlag veröffentlicht. Es umfasst 432 Seiten, wo von circa ein Dutzend Seiten künstlerische Zeichnungen präsentieren. Diese bleiben Käufern des Buches vorenthalten. Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Das bedeutet, ich werde hier nichts Inhaltliches spoilern. Tolle Wurst. Eine Buchrezension ohne etwas vom Inhalt zu verraten. Vielleicht die unnötigste Buchrezension der Welt.
Die Buchbeschreibung
Keine Verbindung hat mehr Sprengkraft als Familienurlaub und Pubertät. »Ich hab‘ den Geist einer 17jährigen, die Wut einer 12jährigen und den Körper einer 13jährigen. Mein Mut ist 21, Minimum. Mein Musikgeschmack ist über 40. Alles in mir hat ein Alter. Und keins ist gleich. Nur weil meine Zellen 16 Jahre alt werden, soll ich plötzlich Angst haben müssen, dass ein Stripper aus meiner Torte springt? Weil ich offiziell ›geschlechtsreif‹ bin? Und Sex haben darf, ohne dass der Kasper gleich den Schutzmann ruft? Gnade!« Sami wird bald 16, kommt allerdings mit den damit verbundenen Veränderungen nicht klar. Sie ist Musikerin und Sportlerin, aus allen anderen Welten hält sie sich neugierig, aber bestimmt heraus. Freundschaft? Wozu! Sex? Yakkk! Beziehung? Für die anderen gern, zum Beispiel für ihren Vater Pietsch oder ihre große Schwester Hannah. Für Sami selbst kein Thema. Bis sie sich – ausgerechnet in einem heftig unerwünschten FKK-Urlaub – zum allerersten Mal von der Liebe auf Links ziehen lässt.
Warum sie auch mal ein Buch mit Pimmeln lesen sollten…
In erster Linie, weil es lustig ist – verdammt noch mal! Ich möchte hier aber vorweg nehmen, das der Roman sich mit wichtigen Themen aus dem Leben beschäftigt; Liebe, Trennung, Tod, Neuanfang – unter dem Deckmantel des Humors. Wer ehrlich zu sich selbst ist, kann vielleicht sogar noch etwas lernen oder sich in einigen Passagen selbst wiederfinden – gruselig. Was das über den Leser sagt, steht wiederum auf einem anderen Blatt.
Für mich war die Pimmelburg-Geschichte in einer schwierigen und stressigen Zeit etwas, was mich vor dem Burn-out bewahrt hat. Mein Alter und das der Hauptdarstellerin „Sami“ weißt dabei keine Parallelen auf – ist aber auch nicht relevant. Das Buch eignet sich für Jung und Alt. Wenn sie anderer Meinung sind, haben sie es vielleicht nur nicht verstanden und sollten es noch einmal lesen.
Eigentlich gibt es kaum eine „Lebenserfahrung“, die Müller nicht mehr oder weniger ernst in sein Werk einfließen lassen hat. Dass ein erwachsener gestandener Mann verdächtig gut aus der Sicht eines pubertierenden Mädchens schreibt, ist vielleicht ein kleiner Tabubruch, spielt aber keine große Rolle.
Eine größere Rolle spielt der Tod in dem Werk. Richtig gelesen, ein humorvoller Roman in dem der Knochenkasper ein wichtiger Charakter ist und NEIN! – das beißt sich überhaupt nicht. Der Tod muss nicht düster, angsteinflößend und dramatisch sein – er gehört zum Leben. Ich wage sogar zu behaupten, er macht das Leben – denn wo wäre der Reiz, wenn alle Menschen unendlich wären? Schönheit liegt in der Vergänglichkeit, nicht nur in der Kunst.
Zurück zum Thema: Ohne mich bemitleiden zu wollen, ich selbst wurde früh mit dem Tod im Leben konfrontiert. Vielleicht gehe ich deshalb etwas „trocken“ mit dem Thema um, ich bitte dies zu entschuldigen; einen „richtigen“ Umgang mit dem Thema lernte ich weder in der Schule noch in einer Ausbildung. Warum eigentlich nicht? – ich dachte Kinder und Jugendliche sollen auf das Leben vorbereitet werden?
Ja, richtig – Gesellschafts- und Konsumkritik! Die findet sich auch in der Pimmelburg. Liebevoll zwischen den Zeilen der Geschichte verpackt.
Der Tod ist in meinen Augen leider noch viel zu oft ein Tabu-Thema, (genau wie die Regenwaldzerstörung und Wasserausbeutung von NESTLÈ!) In der Pimmelburg werden der „Knochenkasper“ und Depressionen auf eine Art und Weise thematisiert und verarbeitet, die ich so aus Romanen noch nicht kannte. Frischer Wind tut immer gut.
Apropos Wind – das die Pimmelburg an der Ostsee spielt, macht es für mich als „Ex-Keinewahl-Hamburger“ zusätzlich interessant. Gute Handlungen müssen nicht immer in New York, London oder Paris spielen, es kann auch mal die Ostsee sein. Dass diese Küstenregion ihren eigenen Charme hat, stellt der Autor zweifelslos unter Beweis.
Apropos Charme – sehr charmant und amüsant ist es, dass die fast 16-jährige Hauptfigur wirklich so spricht, wie eine 16-jährige eben vermutlich spricht. Okay, ich kenne keine 16-jährigen mehr, aber ich kann mich wage zurückerinnern mit 16 in etwa ähnlich gesprochen zu haben. Müller gelingt es meiner Meinung nach, nicht „dumm“, überspitzt oder gezwungen mit Jugendsprache umzugehen. Kein hipper alter Sack, der ein bisschen „den Swag aufdrehen“ will, in dem er wahllos die fancy Jugendworte der letzten Jahrzehnte in seine Geschichte stopft. Lobenswert.
„Pseudo-Lustigkeit“ hätte mir den Spaß am Lesen verdorben. Da dass aber nicht der Fall war, habe ich das Werk gerne in freien Minuten gelesen, war gespannt, wie es weitergeht, wenn ich es weglegen musste und sogar etwas „traurig“, als ich es nach einer Woche durchgelesen hatte. Über das Ende, kann und will ich natürlich nichts verraten, aber ich bin dankbar, wenn eine Roman-Geschichte ein Ende findet.
Eine Fortsetzung wäre zwar im Rahmen des Möglichen, ist aber nicht zwingend nötig. Die Pimmelburg steht für sich. Perfekt – denn Cliffhänger kann ich nicht leiden und sinnlos in die Länge gezogene Handlungen auch nicht, weil ich irgendwann die Aufmerksamkeit verliere, da ich durch Smartphones und Kurzfilme die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfisches habe, weshalb ich es als sehr entspannt empfunden habe, dass der Autor hier auf lange, aneinandergereihte Schachtelsätze verzichtet hat, um einen gewissen Leseflow zu gewährleisten. Urlaub fürs Gehirn.
Vielleicht bin ich der einzige Leser, der nach der letzten Seite das Bedürfnis hatte, seine Sachen zu packen, an die Ostsee zu fahren, ein Lagerfeuer zu entfachen, nackt in die Fluten zu springen und mit seinen Jugendfreunden bei einem Bierchen bis in die Morgenstunden zu schnacken. Vielleicht weckt die Unbeschwertheit der Geschichte aber auch in ihnen ein bisschen Lebensfreude. Eigentlich ist doch alles halb so schlimm, wenn wir aus einer Situation das Beste machen.
Wenn ihr nächster Urlaub noch weit entfernt liegt, überbrücken sie die Wartezeit doch mit der Pimmelburg 😉
Der Autor Stefan Müller
Gutbürgerlich heißt der sympathische TV-Autor aus Köln Stefan Müller. In der Fernsehwelt ist er besser bekannt als ‚Müller‘ vom Autorengespann „Antagonisten“ Eckermann & Müller. Den Namen hat er sich als Autor diverser TV-Formate wie der „Heute-Show“, „Schlag den Raab“, „Luke, die Woche und ich“ oder der „Harald Schmidt-Show“ gemacht. Er schreibt in Cafés – und ohne Unterlass -, egal ob Satire oder Sachbuch. Und meist ist Müllers Frau Patricia Eckermann mit an Bord. https://www.antagonisten.de/
Wenn diese Rezension Sie noch nicht überzeugt hat, lesen Sie am besten noch das Interview mit dem sympathischen Ausnahmeautor: Autoren im Portrait: Müller – Vom TV zum Jugendbuch
Geschichte zur Geschichte…
Ich lese am liebsten in der Bahn,… wenn sie neue Menschen kennenlernen wollen, setzen sie sich mit der Pimmelburg in die Bahn, in ein Café oder auf eine Parkbank und lassen sie einfach die Dinge ihren Lauf nehmen. Das Cover zwingt Menschen förmlich dazu sie anzusprechen und zu fragen, was sie da eigentlich Lesen. Das geht natürlich nur mit einer gebundenen Ausgabe, mit einem E-Book zieht es nicht.
Als ich das erste Mal mit dem Buch in der Bahn unterwegs war, wusste ich noch nicht, das die Pimmelburg künstlerische Zeichnungen enthält. (Die winzige Warnung auf der Rückseite hatte ich übersehen.) Das habe ich herausgefunden, als die Schaffnerin kam und ich genau in dem Moment umblätterte. Als gestandener Mann schäme ich mich natürlich für nichts, trotzdem; elegant wie ein Elefant knallte ich das Buch auf meinen Tisch. Sie fragte mich freundlich, warum ich den Tisch kaputtmache, ich stammelte „das war schon so“…. Sie wagte ein Blick auf das Cover, murmelte etwas wie „Perverser“ und ging, ohne mich zu kontrollieren. Ein tolles Gefühl.
Das machte einen Herrn auf mich aufmerksam, dieser fragte mich worum es in dem Buch ginge, ich fing an zu erzählen. Er unterbrach mich, erzählte mir seine Lebensgeschichte, seinen Bezug zur Ostsee und das FKK etwas tolles sei – die Menschen sind damals viel freier gewesen und so…
Eine Frau am Ende des Waggons beteiligte sich an unserem Gespräch. Sie verlor kein gutes Wort über den Osten und die „FKK-Hippies“… eine 40-minütige Grundsatzdiskussion entstand. Wegen einem Pimmel. Ich dachte die Menschheit wäre weiter.
Die Pimmelburg eignet sich also auch wundervoll als Geschenk für Menschen, die „nicht so leicht“ mit Menschen ins Gespräch kommen, keinen Bock auf Menschen haben oder sich in einer Situation befinden, in der „alles doof“ ist. Der Preis ist mehr als gerechtfertigt.
Mir ist es wichtig festzuhalten, dass ich nicht um diesen Beitrag gebeten wurde, ebenso wenig wurde ich dafür bezahlt.
Ich könne ein paar Euro abgreifen, indem ich hier einen Amazon-Link einfüge. Ich würde mich aber freuen, wenn sie im Falle des Falls hier Bestellen: Pimmelburg – Autorenwelt Shop. Denn Autoren verdienen an reinen Buchverkäufen nicht die Welt, weshalb ich den Autorenwelt-Shop empfehlen kann. Dort werden Autor*innen bei jedem verkauften Buch mit 7 Prozent zusätzlich beteiligt. so dass viele von ihnen bei jedem verkauften Exemplar fast doppelt verdienen.
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