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BRUNO GIRONCOLI – MONUMENTALE SKULPTUREN IN DER SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT


Termin Details


BRUNO GIRONCOLI – MONUMENTALE SKULPTUREN IN DER SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT

Die Schirn Kunsthalle Frankfurt präsentiert vom 14. Februar bis 12. Mai 2019 in einer eindringlichen Ausstellung eine Auswahl monumentaler Skulpturen aus dem Spätwerk des Künstlers Bruno Gironcoli (1936–2010). Der Österreicher gilt als einer der wichtigsten Bildhauer seiner Generation. In seiner persönlich gefärbten, individuellen Bildsprache schuf er ab den frühen 1960er-Jahren in einer schier nicht enden wollenden erfinderischen Unersättlichkeit ein sehr eigenwilliges, singuläres Œuvre. Mit immer neuen Werkgruppen gelang es ihm, eine jeweils unverkennbare, überraschende Sprache zu finden. Nacheinander entstanden Drahtplastiken, Hohlkörperformen, Polyesterobjekte und irritierende Environments. Der Mensch mit seinen Abgründen befand sich dabei im Zentrum der künstlerischen Arbeit Gironcolis. Existenzielle Fragen und einen durchaus politisch motivierten Avantgardegedanken teilte er mit den Kollegen der Wiener Szene. Gironcolis Ästhetik der Maßlosigkeit und der Opulenz, die ständig Wucherungen und Schnörkel ausbildete, hat unzählige jüngere Künstler inspiriert, darunter auch ehemalige Schüler wie Franz West, Hans Schabus oder Ugo Rondinone.
1977 übernahm Gironcoli die Leitung der Bildhauerschule der Akademie der bildenden Künste in Wien. Ermöglicht durch die großzügige Ateliersituation entstanden erstmals raumfüllende, oft raumsprengende Skulpturen, die als Hauptwerk des Künstlers gelten. Als seien sie einem Theater des Absurden oder einer surrealen Traumwelt entsprungen, erscheinen die gigantischen Objekte wie Prototypen einer neuen Spezies, getaucht in glänzende, verführerische Oberflächen aus Gold, Silber und Kupfer. Die Schirn präsentiert insgesamt sechs dieser Skulpturen – sowohl im Innenraum als auch im Außenraum, der Rotunde. Fremdartig und doch vertraut sind sie mit ihren organischen Formen und den Versatzstücken einer Alltagskultur, die sich häufig am Lokalen orientiert: Bald glaubt man ein Weinfass zu erkennen, eine Ähre, eine Weinrebe. Dann wieder inszeniert Gironcoli einen seltsamen Aufmarsch von Säuglingen oder eine imposante ameisenartige Skulptur. Seine grandiosen und irritierenden Werke überraschen stets als postmoderne Pastiches.

„Bruno Gironcoli. Prototypen einer neuen Spezies“ wird durch die Schirn Freunde e.V. gefördert. Die Ausstellung wird zusätzlich durch das STRABAG Kunstforum unterstützt.

Dr. Philipp Demandt, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt: „Als eine der ersten Ausstellungen im neuen Jahr präsentiert die Schirn das Spätwerk des österreichischen Ausnahmekünstlers Bruno Gironcoli. Seine Prototypen, diese maschinenhaften Wesen, wirken äußerst lebendig, beeindrucken mit ihrer Monumentalität und könnten ebenso archaische Funde wie utopische Entwürfe sein. Obgleich Gironcoli mit seinem eigenwilligen, singulären Œuvre ganze Generationen von Künstlern prägte, auf den Biennalen von São Paulo und Venedig ausstellte und immer wieder in großen Ausstellungen präsentiert wurde, ist er in Deutschland leider immer noch viel zu wenig bekannt und geschätzt.“

Die Kuratorin der Ausstellung Dr. Martina Weinhart über Bruno Gironcoli: „Um sich dem Universum von Bruno Gironcoli zu nähern, greift vielleicht die Bezeichnung Hybrid am besten. Sie passt zu dem wenig Statischen, das die massiven und monumentalen Skulpturen in Bewegung hält. Auch zu dem wenig Unfertigen der Werke, deren Einzelformen immer wieder bewegt und zu neuen Einheiten, neuen Skulpturen zusammenwachsen. Die Eigenschaft der Prototypen ist das Dazwischen. Sie sind gegenständlich und abstrakt, fremdartig und vertraut zugleich. Sie sind Avantgarde und irgendwie auch volkstümlich, großmäulig monumental und fein gedacht. Sie sind der entschieden ausgeformte Raum zwischen den Dingen, Moden und Zeiten.“

ÜBER DEN BILDHAUER BRUNO GIRONCOLI

Bruno Gironcoli beginnt seine künstlerische Laufbahn mit einer Ausbildung zum Goldschmied in Innsbruck. Im Anschluss folgt ein Studium an der Akademie für angewandte Kunst in Wien. Seine ersten bildhauerischen Arbeiten entstehen Ende der 1950er-Jahre und bestehen aus Drahtplastiken und Objektassemblagen. 1960/61 kommt er in Paris mit den Ideen des Existenzialismus, den Schriften des Autors Samuel Beckett (1906–1989) und den Arbeiten des Schweizer Bildhauers Alberto Giacometti (1901–1966) in Berührung, die ihn als Künstler nachhaltig prägen. In seinen frühen bildhauerischen Werken, wie etwa der Serie Köpfe Anfang und Mitte der 1960er-Jahre, setzt er sich mit den Darstellungsmöglichkeiten der menschlichen Figur auseinander. Es entstehen Arbeiten in Pappmaché und Polyester, die durch ihre kräftige, kompakte und auf das Notwendigste reduzierte Formensprache bestechen. Gironcolis Interesse an der marxistischen Theorie und der Frankfurter Schule schlägt sich auch in der Wahl der Materialien wieder, die er für seine Skulpturen verwendet. Schon in dieser frühen Werkphase sind die so perfekt golden, silbern oder bronzefarben erscheinenden glatten Oberflächen seiner Köpfe kein Ergebnis teurer Güsse, sondern angestrichen mit billiger Ofenblitzfarbe oder anderer günstiger Farbe aus dem Baumarkt.

Gegen Ende der 1960er-Jahre bewegt sich Gironcoli weg von einem trotz aller innovativen Kraft doch relativ konventionellen Skulpturenbegriff, hin zu einem komplexeren Umgang mit dem Raum und insbesondere mit dem Betrachter. In dieser Zeit entstehen u. a. Werke, wie die Serie der Raumwinkel: irritierende Environments aus verschiedenen, auch alltäglichen Gegenständen, in denen der Betrachter nun als aktiver Protagonist einer Szene begriffen wird. Die Environments sind zugleich Bühnen für Handlungen, die eng mit den performativen Arbeiten des Wiener Aktionismus verbunden sind. Gironcolis Installationen der 1970er-Jahre zeigen eine gewisse Affinität und thematische Verbindung zum Wiener Aktionismus und den Texten der Wiener Gruppe, der Künstler selbst streift das Geschehen aber nur am Rande. Die Einflüsse der Wiener Aktionisten synthetisiert er mit der Arte Povera, der neuen Figuration, dem Objektbegriff des Künstlers Marcel Duchamp (1887–1968) und dem sich langsam etablierenden neuen Medium des Environments und findet damit wiederum zu einer eigenen Sprache.

DIE PROTOTYPEN

Von 1977 bis 2004 leitet Gironcoli als Nachfolger von Fritz Wotruba (1907–1975) die Bildhauerschule der Akademie der bildenden Künste in Wien, was ihm gleichzeitig eine großzügige Ateliersituation verschafft. Seitdem arbeitet er an Großskulpturen, den sogenannten Prototypen. Mit dieser neuen Werkgruppe hat sich Gironcoli endgültig freigespielt. Es sind vor allem diese seit 1977 entstandenen monumentalen Skulpturen, die ihn zur Referenz für die jüngere Bildhauergeneration gemacht haben. Die Schirn präsentiert sechs seiner Prototypen: im Innenraum Figur mit großen Scheibenformen und Spitzköpfen sowie zwei (nicht ausgeführten) Spiralformen (1986–1990/ 1995), Ohne Titel (1992–1995), Ohne Titel (1996), Ohne Titel (2001) und Ohne Titel (2002) sowie in der Rotunde Ein Körper, zwei Seelen (2001).
Die Skulpturen kennzeichnet eine fließende Verbindung von erkennbaren und ornamentalen Formen, die vegetabilisch wuchern. Mechanistische, maschinenartige Elemente sind vereinigt mit plakativen Symbolen und provokativen Schnörkeln. Es sind körperhafte Kunstwerke, die in vielerlei Hinsicht mit der Wahrnehmung des Betrachters spielen. Mit ihren Oberflächen in Gold, Silber oder Bronze erscheinen die Skulpturen wie gegossen, auch wenn tatsächlich nur wenige als Güsse in Aluminium existieren, wie etwa die in der Ausstellung gezeigte Arbeit Ein Körper, zwei Seelen (2001). Vielmehr bestehen die skulpturalen Formen aus diversen Metallen wie Eisen, Aluminium, Zinn oder Messing. Es sind oft Stangen, Rohre und Bleche, Holz-Eisen-Gebilde, die der Künstler mit seinen Assistenten in die gewollte Form gebracht hat. Die einzelnen modularen Teile wurden dabei immer wieder bewegt und häufig zu neuen Einheiten, neuen Skulpturen zusammengesetzt.

Die klare abstrakte Konstruktion der Prototypen wird immer wieder durch gegenständliche Details gebrochen, wie Hörnchen, Säuglinge, Weinfässer, schlüsselartige Objekte, Kugeln und amorphe Formen, die herausbrechen, wachsen oder sich formieren, wie etwa bei Ohne Titel (1992–1995). Die Prototypen bestechen durch eine Maßlosigkeit, die sich nicht allein in der monumentalen Dimension zeigt, sondern auch in ihrer Komplexität – Gebilde, die ästhetisch reizvoll und vielschichtig in ihren Bedeutungen sind. Sie verbinden Mechanik und Organismus, Psychisches und Technisches.

Sexualität ist in Gironcolis Monumentalskulpturen stets latent vorhanden. Ein Weinfass hat eine Vulva und ist mit altertümlichen Fruchtbarkeitssymbolen wie Ähren, Weintrauben und Weinblättern umgeben, so in dem Werk Figur mit großen Scheibenformen und Spitzköpfen sowie zwei (nicht ausgeführten) Spiralformen (1986–1990/1995). Allen Skulpturen ist eine symbolisch aufgeladene Körperlichkeit eigen. Auch das Unheimliche ist in diesen monumentalen Maschinen allgegenwärtig, die scheinbar nur für den Moment der Betrachtung erstarrt sind und im nächsten Augenblick zum Leben erwachen könnten. Ein wiederkehrendes Detail sind etwa auch Säuglinge, wie in der Skulptur Ohne Titel (2002). Dort sind sie statisch und doch dynamisch auf einer Art Rutsche angeordnet. Diese Babys sind blicklos, tragen ein Kreuz auf dem Bauch, eindeutig männlich oder weiblich, mit kahlem Kopf und leeren Zügen.

Bekrönt werden die Prototypen meist von einem Element, Murphy, das Gironcoli bereits früh in seinem Schaffen erarbeitet und wieder und wieder verwendet hat. Varianten dieses Elements spielen in Gironcolis modulartig gebauten Skulpturen eine zentrale Rolle, etwa in Ohne Titel (1996). „Murphy“ (1938) ist der Titel des ersten Romans von Samuel Beckett. Der Protagonist Murphy steht für die Absurdität menschlichen Strebens und für ein Außenseitertum, dem sich Gironcoli offenkundig verbunden fühlte. Die Weigerung, sich dem Diktat der alltäglichen Notwendigkeiten zu unterwerfen, spiegelt sich nicht zuletzt in einer ebensolchen Weigerung zur Anpassung in seinem Werk.

Weitere Informationen

INFORMATION www.schirn.de

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